Stammzelltypen

Stand:

März 2017

Autoren:

Daniel Besser, Tobias Cantz, Ira Herrmann

Nutzungsrechte:

Creative Commons LizenzBY-SA

Als Stammzellen werden allgemein Körperzellen bezeichnet, die Kopien von sich selbst herstellen können und sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe ausdifferenzieren können. Je nach Art der Stammzelle und ihrer Beeinflussung haben sie das Potenzial, sich in jegliches Gewebe (embryonale Stammzellen) oder in bestimmte festgelegte Gewebetypen (adulte Stammzellen) zu entwickeln. Stammzellen sind in der Lage, Tochterzellen zu generieren, die selbst wiederum Stammzelleigenschaften besitzen.

Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) werden aus der Blastozyste, einem frühen Embryonalstadium bei Säugetieren, isoliert. Bei der menschlichen Embryonalentwicklung entsteht die Blastozyste fünf bis sechs Tage nach der Befruchtung. Embryonale Stammzellen werden aus der inneren Zellmasse (Embryoblast) isoliert, aus der sich bei einer natürlichen Embryonalentwicklung der gesamte Organismus entwickelt. Bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen wird die Blastozyste zerstört. Übertragen in eine Zellkulturschale gelten embryonale Stammzellen als pluripotent, können also viele oder fast alle Zelltypen des ausgewachsenen Körpers bilden aber nicht mehr einen gesamten Organismus.

Fetale Stammzellen werden aus älteren, abgegangenen oder nach Schwangerschaftsabbruch gewonnenen Embryonen oder Föten (5 bis 9 Wochen alt) isoliert. Diese Stammzellen haben ein Potenzial, das im Übergang zwischen embryonalen und Gewebestammzellen liegt. Sie können sich nicht mehr wie die embryonalen Stammzellen in fast alle Zellen differenzieren. Sie wachsen aber dennoch schneller als Gewebestammzellen, die schon auf die Zelltypen eines bestimmten Gewebes festgelegt sind.

Gewebestammzellen (=Adulte Stammzellen) sind spezielle teilungsfähige Zellen in bereits ausgewachsenen Geweben. Sie dienen sowohl der Selbsterneuerung als auch der Entwicklung spezialisierter Zelltypen eines Gewebes. Ihr Differenzierungspotenzial ist auf die Ausreifung genetisch bestimmter Gewebe beschränkt, in dessen Umgebung („Nischen“) sie zu finden sind, also zum Beispiel in der Haut, der Leber, dem Darms oder dem blutbildenden (hämatopoetischen) System. Sie werden daher als multipotent bezeichnet, nicht als pluripotent.

Humane embryonale Stammzellen (hES-Zellen) werden aus Zellen des frühen Embryos kultiviert. Zu Forschungszwecken gewinnt man heute in verschiedenen Ländern, zum Beispiel in Belgien und Großbritannien, embryonale Stammzellen aus überzähligen Embryonen künstlicher Befruchtungen (in-vitro-Fertilisation). Die Entnahme der hES-Zellen führt zum Verlust des Embryos. In Deutschland gilt die Herstellung von hES-Zellen auf diesem Weg für ethisch nicht vertretbar und ist verboten (Embryonenschutzgesetz). Eine Einfuhr von hES-Zellen für Forschungszwecke ist ebenfalls generell verboten, kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt werden. Die Genehmigungen hierzu erteilt das Robert Koch-Institut (RKI).

Abbildung: Shinya Yamanaka
Bildnachweis: National Institute of Health/Wikimedia



Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) sind Stammzellen, die durch künstliche Reprogrammierung von menschlichen Körperzellen entstanden sind. Der japanische Wissenschaftler Shinya Yamanaka schleuste 2006 erstmals mit Hilfe von Viren die Gene  Oct4, Sox2, cMyc und Klf4 in Körperzellen von Mäusen ein und aktivierte so ruhende Entwicklungsgene. Auf diese Weise wurden Körperzellen in einen embryonalen Zustand zurückprogrammiert, also reprogrammiert (Takahashi und Yamanaka, 2006). Dies gelang dann ein Jahr später auch bei menschlichen Zellen.

Keimzellen sind Zellen, welche die Keimbahn bilden und schon im frühen Embryo für die Entstehung der nächsten Zellgeneration vorbestimmt sind. Während der embryonalen und späteren Entwicklung verändern sie sich nur wenig. Nur aus den Urkeimzellen der Keimdrüsenleiste (Vorläuferzellen von Ei- und Samenzellen) können unter Laborbedingungen noch pluripotente Stammzellen kultiviert werden. Im Körper gehen aus ihnen die haploiden Gameten, also die Spermien und Eizellen (Oozyten) hervor, die nach der Befruchtung eine diploide Zygote bilden. Es ist heute schon möglich, aus induzierten pluripotenten Stammzellen der Maus künstlich Spermien und Oozyten herzustellen und diese zur Befruchtung zu verwenden. Sollte dies in Zukunft auch mit menschlichen reprogrammierten Stammzellen gelingen, könnte ein menschlicher Embryo generiert werden, der nicht aus natürlichen Keimzellen entstanden ist. Diese Möglichkeiten könnten für einige Paare, die sonst keine Kinder bekommen können, interessant sein. Doch werfen sie viele neue ethische Fragen auf, die gesellschaftliche Diskussionen und rechtliche Regelungen erfordern.

Mesenchymale Stammzellen (Abkürzung: MSC, auf Englisch mesenchymal stromal/stem cells) sind Gewebestammzellen, die ihren Ursprung im Keimblatt des Mesoderms haben. Sie können aus Knochenmark, Fettgewebe und Nabelschnurgewebe isoliert werden. Sie werden auch als Stromazellen bezeichnet und haben große Ähnlichkeit mit Bindegewebszellen, den Fibroblasten. Es ist nachgewiesen, dass sich MSC in Chondrozyten (knorpelbildende Zellen), Osteoblasten (knochenbildende Zellen) und Adipozyten (Zellen des Fettgewebes) differenzieren können. Die Differenzierung dieser Zellen in Muskelzellen und Herzmuskelzellen wird in Wissenschaftlerkreisen kontrovers diskutiert. Oftmals werden die Begriffe adulte Stammzellen (Gewebestammzellen) und MSC gleichbedeutend verwendet. Allerdings sind die MSC verschiedener Gewebe nur eine von vielen Arten adulter Stammzellen, da auch Hautstammzellen, Darmstammzellen, Blutstammzellen und die Stammzellen aller Gewebe zu den adulten Stammzellen gehören. MSCs haben eine große Bedeutung bei der Entwicklung von Therapieansätzen mit Stammzellen und werden häufig in klinischen Studien verwendet. In vielen Fällen wird die Wirkung der Zellen nicht auf die Differenzierung in Gewebezellen, sondern auf die Unterstützung von körpereigenen Reparaturprozessen durch endogene Stammzellen zurückgeführt. Die Zellen geben dabei Faktoren ab, welche die Regeneration positiv beeinflussen.

Multipotente Stammzellen (multipotent, von lat. multus „viel“ und potentia „Vermögen, Kraft“) haben ein eingeschränktes Differenzierungspotential und dienen in den verschiedenen Geweben für den Ersatz abgestorbener Zellen und die Regeneration nach Verletzungen.

Pluripotente Stammzellen (pluripotent, von lat. plus „mehr“ und potentia „Vermögen, Kraft“) können durch Differenzierung alle Zelltypen der drei Keimblätter (Endoderm, Mesoderm und Ektoderm) und die Keimbahn bilden. Sie können jedoch kein extraembryonales Gewebe (Trophoblast) und damit keinen lebensfähigen Organismus bilden.

Totipotente Stammzellen (totipotent, von totus „ganz“ und potentia „Vermögen, Kraft“) sind in der Lage, durch Zellteilung einen kompletten, eigenständigen Organismus zu entwickeln. Nur in einem sehr frühen embryonalen Stadium von der befruchteten Eizelle bis zum 8-Zellstadium sind die Zellen totipotent.

Zugehöriges Material

  • Aufgabenblatt

  • Material: Stammzelltypen

  • Film: Eine Stammzellgeschichte

     

    Dieser 15-minütige Film bietet eine fesselnde, leicht verständliche und atemberaubende Einführung in die Welt der Stammzellenforschung. Mit innovativer handgezeichneter Animation, wundervollen Fotos von Zellen und dokumentarischen Interviews fängt er die Faszination und Komplexität dieses topaktuellen Wissenschaftsbereichs ein.

Weitere Inhalte zum Thema Grundlagen

  • Blutstammzellen

     

     

    Blutstammzellen sind die ersten Stammzellen, die erforscht wurden. Noch heute lernen Forscher von Blutstammzellen und arbeiten daran, neue Methoden zu entwickeln, um sie in der Klinik einzusetzen.

  • Formen der Reprogrammierung

     

     

    Wie jede Körperzelle zu einer pluripotenten Stammzelle gemacht werden kann - die Reprogrammierung ermöglicht es, den Zellkern einer beliebigen Zelle des Körpers in ein frühes embryonales Entwicklungsstadium zurückzuführen.

  • Entstehung pluripotenter Zellen

     

     

    Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Entstehung pluripotenter Stammzellen in einer Grafik dargestellt.

Weitere Unterrichtseinheiten

Ethik
Informationen und Denkansätze für eine eigenständige Meinungsbildung

 

Therapie
Hintergrundinformationen zu therapeutischen Anwendungen mit Stammzellen bei verschiedenen Erkrankungen

 

Genetik
Informationen zu (epi-)genetischen Veränderungen im Erbgut