Neue Hilfsmittel zur Erforschung von Krankheiten

Stand:

März 2017

Autoren:

Christian Unger für EuroStemCell (Krankheitsmo-delle), überarbeitet von Tobias Cantz

Nutzungsrechte:

Creative Commons LizenzBY-SA

Um Erkrankungen zu verstehen und erfolgreich zu bekämpfen, muss im Labor geforscht werden. Um die krankheitsspezifischen Ausprägungen in den betroffenen Geweben oder Zellen ideal untersuchen zu können, sind kleine Gewebeproben von erkrankten Patienten eine wichtige Ressource. Allerdings stehen diese nicht für alle Erkrankungen zur Verfügung oder würden sich nur unter unzumutbaren Bedingungen gewinnen lassen. 

Umprogrammierte Zellen als Modell zur Erforschung von Krankheiten

Krankheitsmodelle können diese Probleme umgehen, indem sie Wissenschaftlern ermöglichen, Krankheiten im Labor zu simulieren. Da sich pluripotente Stammzellen – zumindest theoretisch – auch in der Zellkulturschale in jeglichen Zelltyp des Körpers differenzieren lassen, finden humane embryonale Stammzellen (hES) und sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) zunehmend Anwendung, um die erkrankten Zellarten oder sogar Gewebetypen im Labor zu züchten.

Warum brauchen wir Krankheitsmodelle?


Ob lebensbedrohlich oder nicht, eine Krankheit kann oft erst dann erfolgreich behandelt werden, wenn wir ihre biologische Basis verstehen. Krankheitsmodelle erlauben Wissenschaftlern, bestimmte Aspekte zu simulieren und beispielsweise auf molekularer Ebene zu entschlüsseln. Ein Krankheitsmodell bildet dabei die fehlgesteuerte Biologie zum Beispiel im Computer, in Tieren oder in Zellen ab. Solche Modelle bieten hilfreiche Einblicke in Erkrankungen. Sie erlauben es, Experimente relativ einfach und sehr robust zu wiederholen, um reproduzierbare und vertrauenswürdige Ergebnisse zu erhalten. Unser Verständnis der komplexen biologischen Systeme im menschlichen Organismus ist nach wie vor eingeschränkt. Unterschiedliche Ausprägungen derselben Erkrankung lassen sich schwer untersuchen und in Modellen abbilden. Ein erster Schritt, um solche komplexen Erkrankungen zu erforschen, ist, zunächst nur einzelne Zellen oder Gruppen von Zellen im Labor zu analysieren, anstatt komplexes Gewebe oder den ganzen Körper zu betrachten.

Menschliche Zellen als Modell zur Erforschung von Krankheiten


Tiermodelle, wie zum Beispiel die Labormaus, sind in der Forschung weitgehend etabliert und können viele menschliche Krankheitsaspekte nachbilden. Aber an Tieren können niemals alle Aspekte der menschlichen Biologie oder Erkrankung abgebildet werden. Behandlungsmethoden, die in experimentellen Tiermodellen effektiv waren, können zwar häufig wesentliche Hinweise und Informationen liefern, funktionieren aber nicht immer beim Menschen. Außerdem gibt es eine Reihe von Erkrankungen, unter anderem Stoffwechselerkrankungen oder neuronale Erkrankungen, für die es keine aussagekräftigen Tiermodelle gibt.  
Menschliche Zellen wurden erstmals im 19. Jahrhundert im Labor kultiviert. Seitdem ist unser Verständnis von Zellen stark vorangeschritten. Dabei haben insbesondere Krebszellen eine wichtige Rolle gespielt, weil sie wesentlich einfacher in vitro vermehrt werden können als gesunde Gewebezellen.

Welchen Vorteil bieten Stammzellen für Krankheitsmodelle?


Stammzellen können sich selbst erneuern und in verschiedene spezialisierte Zellen differenzieren. Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) bieten dabei die neue Möglichkeit, pluripotente Stammzellen von Patienten zu nutzen und daraus die relevanten Zellarten oder Gewebetypen im Labor zu züchten. Der Einsatz von iPS-Zellen ist insbesondere bei solchen Erkrankungen von großem Vorteil, bei denen genetische Komponenten wie defekte Gene oder bestimmte genetische Polymorphismen eine Rolle spielen. Der Grund: Sie besitzen die identische genetische Ausstattung und bilden den Erkrankungstyp meist zuverlässig und authentisch ab. 
Modelle aus Stammzellen haben noch einen weiteren Vorteil: Viele Erkrankungen werden oft erst entdeckt, wenn ausgeprägte Symptome auftreten, also erst lange nach dem eigentlichen Ausbruch der Krankheit. Die ursprüngliche Entstehung der Krankheit ist häufig nur schwer zu rekonstruieren und zu verstehen. Mit Stammzellen können Forscher eine kleine Zeitreise machen und jede Art Zelle, ob im frühen oder späten Krankheitsstadium, gewinnen.

Aktuelle und künftige Entwicklungen für Krankheitsmodelle aus Stammzellen


Manche Erkrankungen weisen allerdings eine sehr breite Genotyp-Phänotyp-Korrelation auf: Obwohl die Erkrankung auf dem gleichen genetischen Defekt (Genotyp) beruht, ist der Schweregrad der Ausprägung (Phänotyp) bei Patienten sehr verschieden. In diesen Fällen versuchen neue Forschungsansätze, iPS-Zellen von mehreren Patienten mit verschieden ausgeprägtem Phänotyp zu untersuchen und in jeder einzelnen patientenspezifischen iPS-Zelllinie den zugrundeliegenden Gendefekt durch neue Methoden der präzisen Genom-Editierung zu reparieren. Dann lässt sich für jeden Patienten paarweise die „gesunde“ und „erkrankte“ iPS-Zelllinie untersuchen, was sehr zuverlässige Beobachtungen ermöglicht. Wenn nun verschieden starke Ausprägungen derselben Erkrankung auf unterschiedlichen Mutationen des betreffenden Gens beruhen, ergibt sich die Schwierigkeit, dass für jede einzelne Mutation eine spezifische Kontroll-Zell-Linie generiert werden müsste. Bei zehn Mutationen müssten also zweimal zehn Zell-Linien untersucht werden. Manche Wissenschaftler bevorzugen in solchen Fällen daher, mit einer intakten Kontroll-Zelllinie (ES-Zellen oder iPS-Zellen) zu beginnen und Unter-Zelllinien zu generieren, in welche dann die jeweilige Mutation eingefügt wurde. Bei zehn Mutationen müssten dann nur zehn plus eine Zell-Linie untersucht werden.
Zusammengefasst bieten ES-Zellen und iPS-Zellen die Möglichkeit, zwar künstliche, aber authentische Krankheitsmodelle in vitro zu etablieren. Sie helfen dabei, Krankheiten besser zu verstehen. Die Krankheitsmodelle können außerdem genutzt werden, um Medikamente und Behandlungsmethoden direkt am „Zellpatienten“ zu entwickeln und zu testen.

Zugehöriges Material

  • Aufgabenblatt

  • Material: Krankheitsmodelle

  • Animation: Zellen als Krankheitsmodelle

     

    Wie werden Stammzellen als Labormodell für Krankheiten genutzt? Dieser vierminütige Animationsfilm erklärt einfach und anschaulich, wie und wieso Zellen als Krankheitsmodelle genutzt werden.

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    Vier Positionen zur moralischen Haltung, ab wann ein menschlicher Embryo als schützenswert zu betrachten sein könnte

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    Vom Embryonenschutzgesetz zum Stammzellgesetz - rechtliche Grundlagen der Stammzellforschung in Deutschland

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Weitere Unterrichtseinheiten

Grundlagen
Einführung und Überblick zur Stammzellforschung

 

Therapie
Hintergrundinformationen zu therapeutischen Anwendungen mit Stammzellen bei verschiedenen Erkrankungen

 

Genetik
Informationen zu (epi-)genetischen Veränderungen im Erbgut